Eine alte Weisheit des Indianerstammes der Dakota besagt, dass, wenn man realisiere auf einem toten Pferd zu reiten, es die beste Idee sei, abzusitzen.

Übertragen auf Projektorganisationen bedeutet dies, dass Projekte in aussichtslosen Sackgassen nicht blind nach – meist längst überholtem – Plan weiterverfolgt werden sollen, sondern abgebrochen werden dürfen. Schliesslich kann eine Organisation auch aus einem erfolglos beendeten Projekt durchaus wertvolle Lehren für die Zukunft gewinnen. Eigene Erfahrungen in der Rolle als Projektleiter und -coach sowie Medienberichte zu gescheiterten (Gross-)Projekten aus Verwaltung, Handel, Industrie oder Finanzbranche zeigen hingegen, dass im Projektalltag die Tendenz besteht, entweder die Tragweite der Situation nicht rechtzeitig zu erkennen, oder anstelle des Eingeständnisses und der transparenten Kommunikation eines offensichtlichen und erkennbaren Projektmisserfolgs alternative und kreative Massnahmen und Strategien zu versuchen. Es dürfte im Einzelfall und im Nachhinein betrachtet keine Überraschung sein, dass solche Versuche kaum mit dem gewünschten Resultat enden, sondern oft in Negativspiralen, einer Hinauszögerung des unvermeidlichen Projektmisserfolgs, und manchmal gar in einem Artikel in der Presse resultieren.

„The dead horse theory“
In der nicht wissenschaftlichen, satirischen „Dead Horse Theory“ werden als moderne Antwort auf die Weisheit der Dakotas 14 Strategien genannt, die einen Weiterritt auf einem toten Pferd ermöglichen sollen. Darunter fällt beispielswiese Strategie Nr. 1, der Kauf einer stärkeren Peitsche, womit in einer Projektumgebung die Steigerung des Ergebnisdrucks seitens Management oder Projektleitung gemeint ist. Beliebt ist auch Strategie Nr. 2, der Wechsel des Reiters, d.h. die Projektleitung wird ersetzt, oder Strategie Nr. 8, die Anstellung von externen Fachkräften zum Ritt des toten Pferdes, hierzu werden Consultants oder IT-Berater ins Boot geholt. Ein Klassiker ist mit Strategie Nr. 6 die Reduktion von Standards, sodass tote Pferde als lebend deklariert werden können, d.h. ein tiefroter Projektstatus wird im Projektreporting als leuchtendes Grün ausgegeben.

Satire? Leider nein – für erfahrene Projektauftraggeber, -manager und -mitarbeitende gehören solche und ähnliche Vorgehensweisen leider regelmässig zur Tagesordnung, wenn es darum geht, eine Projektaufgabe innerhalb einer Organisation zu bearbeiten und eine erfolgreiche Umsetzung zu präsentieren. Zu berücksichtigen ist hierbei insbesondere, dass die Personen einer temporären Projektorganisation vielschichtig mit Stakeholdern interagieren (vgl. Wastian/Braumandl/Weissweiler 2015: 6), nicht nur aus der eigentlichen Projektrolle heraus, sondern auch aus Eigeninteresse für die eigene Linienfunktion. Für die Disziplin des Projektcoachings, wo es im Coachingkontrakt um die facettenreiche Begleitung des Projektprozesses zur Unterstützung der Projektzielerreichung geht, liegen in solchen Strategien zum Ritt toter Pferde vielfältige Herausforderungen.

Was ist die Positionierung und Aufgabe von Projektcoaching?
Aus eigener langjähriger Erfahrung ist in Projektorganisationen die verhältnismässig junge Disziplin des Projektcoachings meist nicht näher spezifiziert, oder – bestenfalls als Nebenaufgabe – der Projektleitung zugeordnet, und wird dort in der Regel auf Aufgaben der Teamentwicklung oder der Mediation von Konflikten reduziert.

Das eigentliche Aufgabenfeld des Projektcoachings ist hingegen deutlich breiter und umfasst neben Prozesscoaching von beteiligten Schnittstellen in Projektplanung und strategischen Abstimmungen der Projektziele, personeller Besetzung, Kommunikationsund Interaktionsgestaltung, Lernen und Veränderungsmanagement auch Teamcoaching (die oben genannte Teamentwicklung und Konfliktmanagement, Methodenentwicklung und -nutzung, Rollendefinitionen, Zusammenarbeitsmodelle etc.), sowie personenbezogene Themen im Einzelcoaching, darunter Work-Live-Balance, Umgang mit Druck in Projektsituationen oder Führungskompetenzen und Laufbahnplanung für Projektmitarbeitende (vgl. Wastian/Braumandl/Dost 2012: 102f). Aus diesen vielfältigen Aufgaben wird ersichtlich, dass die Rolle eines Projektcoaches kaum mit derjenigen der Projektleitung vereinbar ist. Zu schnell entstünden Interessenkonflikte, Spannungen bezüglich Vertraulichkeit (u.a. im Rahmen von Einzelcoachings), und nicht zu Letzt ist die Projektleitung bei prozessorientierten Projektcoachings selbst mehr Coachee als Coach. Die Projektleitung als Coach? Im Gegenteil – ein Projektcoach sollte entgegen der Projektleitung primär am Erfolg der vielfältigen Prozessbegleitung und somit nur indirekt an der Erreichung der eigentlichen Projektziele gemessen werden, da an Coachingformaten beteiligte Coachees (bzw. Projektrollen und -gruppen) durch den Projektcoach nur in der Handlungssteuerung, nicht aber in der Handlung an sich unterstützt werden sollen.

Wie verhindert ein Projektcoach die Bereitung toter Projektpferde?
In den Wirtschaftswissenschaften wird der „homo oeconomicus“ im Kontext zum Recht und Überleben des Stärkeren als Modell genannt. Dies wird zwar in neueren Forschungsergebnissen kontrovers diskutiert, jedoch existiert nach wie vor eine nutzenorientierte Denkhaltung des konfrontativen Wettbewerbs (vgl. Wiek 2015: 14-18). Die Kehrseite eines konfrontativen Wettbewerbs kann als „Vermeidung von Blösse“ umschrieben werden, weshalb Projektteams, -leitende und -auftraggebende je nach Unternehmenskultur dazu geneigt sein mögen, das offensichtlich tote Projektpferd unter Einsatz verschiedener Strategien als vorwärtspreschendes Rennpferd zu deklarieren.

Die Aufgabe des Projektcoaches ist es, Anzeichen dieser Vorgehensweisen frühzeitig zu erkennen und proaktiv mit den relevanten Stakeholdern zu thematisieren. Diese Aufgabe schafft Transparenz kann deshalb auf den ersten Blick sehr unangenehm sein. Aber: mit puristischem Fokus auf den Kontrakt des Projektcoachings, nämlich die Prozessbegleitung des Projektes zur Unterstützung der Projektzielerreichung, sollte die Förderung der Informations- und Wissenstransparenz für die verschiedenen Stakeholder und Entscheidungsträger als wichtige Aufgabe des Projektcoachings betrachtet werden und deshalb als Coachingziel in den Kontrakt integriert werden. Dies sollte als zentrale Massnahme berücksichtigt werden, damit das Projektcoaching selbst nicht zu einem toten Pferd wird, sondern wirksam bleibt.

Pascal Meichtry

Quellen:
Wastian, Monika/Braumandl, Isabell/Dost, Brigitte (2012). Projektcoaching als Weg zum erfolgreichen Projekt. In: Wastian,
Monika/Braumandl, Isabell/von Rosenstiel, Lutz (Hrsg.). Angewandte Psychologie für das Projektmanagement. Ein
Praxisbuch für die erfolgreiche Projektleitung. 2. Aufl. Berlin Heidelberg: Springer Medizin.
Wastian, Monika/Braumandl, Isabell/Weissweiler/Silke (2015). Führung und Mikropolitik in Projekten. Der psychologische
Faktor im Projektmanagement. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Wiek Ulrich (2015). Zusammenarbeit fördern. Kooperation im Team – ein praxisorientierter Überblick für Führungskräfte.
Berlin Heidelberg: Springer Gabler.

Tote Pferde im Projektcoaching – ein Plädoyer für Transparenz!

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